BIKE 02/2019
Lesedauer 3:50 Minuten

CHINA-KRACHER

Das Internet macht es möglich: Endverbraucher können Rahmen und Teile direkt aus China ordern. Manche Carbon-Produkte sind dabei geradezu sagenhaft billig. Aber stimmt auch die Qualität? Oder riskiert man seine Gesundheit beim Direktkauf? BIKE hat die Probe aufs Exempel gemacht.

2300 Euro für 850 Gramm Carbon? So viel kosten Highend-Hardtail-Rahmen von großen Herstellern. Locker. Ist das ein fairer, nachvollziehbarer Preis, oder zahlen wir im heimischen Bikeshop einen Riesenaufschlag? Es gibt viele Biker, die sich diese Frage stellen. Und gar nicht so wenige haben sich aufgemacht, alternative Wege zu erkunden. Davon zeugen hunderte von Seiten in den MTB-Foren, wo die Vorzüge und Nachteile diverser Direktverkäufer ausführlich erörtert werden – in Europa, aber auch in den USA. Grundtenor: „Bei einem Zehntel des Preises geht man kein sehr großes Risiko mit dem Direktkauf ein, und sollte etwas gar nicht passen, wird es halt zurückgeschickt."

Die Handelsbeziehung zwischen West und Ost scheint zu funktionieren, wie die Foren bestätigen. Von ernsthaften Problemen liest man nur selten. Die Direkteinkäufe stellen ihre westlichen Besitzer überwiegend zufrieden. Zwischen den Zeilen schimmert aber durch, dass die Empfänger nachsichtig mit Unzulänglichkeiten umgehen. Da wird auch schon mal nachgearbeitet oder ein nicht perfektes Finish akzeptiert, das bei einem Markenhersteller eine Reklamation zur Folge hätte. Ernsthafte Probleme mit Rahmenbrüchen bei Direktimporten sind nicht dokumentiert, Beispiele für abbrechende Carbon-Sattelstützen finden sich hingegen schon. Dass individuelle Wunschlackierungen und Beschriftungen von Rahmen öfters mal schiefgehen, ist ebenfalls klar erkennbar.

Die große Nachfrage nach den Direktimporten hat uns neugierig gemacht. Wir wollten herausfinden, was die China-Ware wirklich leistet und wo die Unterschiede zu den großen Markenherstellern liegen. Also haben wir zwei Rahmen auf dem Weg gekauft, den auch die meisten Biker einschlagen: über Aliexpress, einem Tochterunternehmen des chinesischen Handelsriesens Alibaba. Aliexpress fungiert als Handelsplattform, die asiatische Anbieter mit ihren westlichen Abnehmern verbindet. Gegenüber einem reinen Direktkauf beim Hersteller bietet die Plattform eine zusätzliche Sicherheit: Bei Problemen wird ein Schlichtungsverfahren in Kraft gesetzt, das den Kauf absichert – ähnlich wie bei Ebay. Zudem ist das Feedback anderer Käufer über Aliexpress einsehbar, ebenso wie Angaben zur Größe der Firma und den produzierten Stückzahlen.

lm Prüflabor des Zedler-lnstituts sollen die Rahmen beweisen, dass sie die Standard-Norm für Mountainbikes erfüllen. Ein Klacks, denken wir...

Die Anzahl der Hersteller, die Kleinstückzahlen direkt an westliche Endverbraucher verkaufen möchten, ist überschaubar. Am liebsten bringen die Chinesen ihre Ware containerweise auf die Reise. Unter sieben häufiger zu findenden Anbietern wählen wir schließlich Works Well aus, hauptsächlich wegen der guten Lieferkonditionen: In den Preis von 300 Euro pro Hardtail-Vollcarbon-Rahmen ist die Luftfracht bereits eingepreist. Das angegebene Rahmengewicht von 1050 Gramm ist nicht verwegen leicht – der Rahmen könnte also funktionieren, so unsere Vermutung.

Der Einkaufprozess funktioniert reibungslos, zügig kommt die Bestätigung für den Kauf, und auch die Versandnachricht klingelt einen Tag nach dem Kauf im Posteingang – alles in verständlichem Englisch. Schon nach zwölf Tagen trifft unsere Bestellung in Frankfurt ein, bleibt aber im Zoll hängen. Das bedeutet zusätzliche Einfuhrumsatzsteuer und Zoll sowie eine Handling-Gebühr für den Kurierdienst, der den Papierkram mit dem Zoll übernimmt. Die Rahmen verteuern sich so um 90 Euro pro Stück. Die Zollabwicklung geht rasch. Zwei Tage später fährt der Paketdienst vor. Endlich Bescherung. Die Rahmen sind so extravagant verpackt, als hätte Christo persönlich Hand angelegt. Die Spannung steigt, als die Hüllen fallen: Schlichtes Schwarz, ordentliche Oberflächen – auf den ersten Blick gefällt die Verarbeitung. Steckachsen und Wechselausfallenden für normale Schnellspanner werden mitgeliefert.

Im BIKE-Labor nehmen wir die Rahmen dann genauer unter die Lupe. Die Pressfit-Aufnahmen aus Carbon sind nachgearbeitet und korrekt im Durchmesser. Nur die Lagersitze für die integrierten Lenkkopflager fallen durch den untypischen leichten Presssitz auf, der technisch aber noch akzeptabel ist. Die Rahmen sind gerade, die Einbaumaße passen. Auch die Zugführungen im Rahmeninnern funktionieren reibungslos, wie eine Probemontage zeigt. Die Geometrie mit steilem Lenkwinkel ist etwas konservativ, die Steifigkeitswerte sind ordentlich und identisch bei beiden Testmustern. Einen Boost-Standard gibt es noch nicht. Das Gewicht ist mit 1150 bzw. 1162 Gramm höher als angegeben, aber wir haben mit 18,5 Zoll auch nicht die kleinste Rahmengröße geordert.

Alles gut also? Vorerst ja. Im BIKE-Labor bauen die Mechaniker im Geiste bereits bezahlbare Custom-Räder auf. Aber die wichtigste Prüfung steht noch aus: Im Prüflabor des Zedler-Instituts sollen die Rahmen beweisen, dass sie die Norm ISO 4210 erfüllen, die verbindlich ist für Mountainbikes.

(…)

Autor: Robert Kühnen



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