Ludwigsburger Kreiszeitung, 30.04.2024
Lesedauer 4:00 Minuten

Wirtschaftsfaktor auf zwei Rädern

Die Fahrradwirtschaft wächst, wird selbstbewusster – und will jetzt eine bessere Lobby. Der bundesweite Branchenverband Zukunft Fahrrad trifft sich in Ludwigsburg und schmiedet Pläne.

Wasilis von Rauch (von links), Günter Riemer, Silke Gericke und Dirk Zedler beim Fahrrad-Branchentreffen in den Räumen des Zedler-Instituts. Im Hintergrund einige Exponate des Fahrradmuseums in den Institutsräumen - vom Einrad bis hin zum Hightech-Rennrad
Ludwigsburg. In der Fahrradbranche erwächst ein neues Selbstbewusstsein. Kein Wunder: Zwischen den Jahren 2019 und 2022 steigerte sie ihre Umsätze auf 28 Milliarden Euro – das bedeutet eine Steigerung von nicht weniger als 70 Prozent. Das ergibt eine Studie des Transportation Think Tank T3. Die Beschäftigtenzahlen stiegen im selben Zeitraum von 48200 auf 62800. Und da sind die 263000 Beschäftigten im Fahrradtourismus noch nicht mal mitgezählt.
 
Das Problem ist nur: In der Politik in Berlin ist für den Geschmack der Fahrradbranche diese Bedeutung als Wirtschaftsfaktor und als Aspekt in der Verkehrswende noch viel zu wenig angekommen. Was es nun brauche, so die Überzeugung der Hersteller, Händler und Radverleiher: Lobbyarbeit. Vor fünf Jahren schlossen sie sich deshalb im Branchenverband„Zukunft Fahrrad“ zusammen. Und nun trafen sich Vertreter dieses bundesweiten Verbandes in Ludwigsburg. In den Räumen des Zedler-Instituts für Fahrradprüftechnik kamen sie zum „Frühlingsempfang“ zusammen. Dirk Zedler, Gründer und Geschäftsführer des Ludwigsburger Instituts, das Fahrradbauteile prüft und unter anderem auch als gerichtlich bestellter Gutachter fungiert, ist stellvertretender Vorsitzender von Zukunft Fahrrad. Und so kommt es, dass Ludwigsburg eine der Herzkammern der neuen Fahrrad-Lobbyarbeit ist. 101 Mitglieder hat der Branchenverband Zukunft Fahrrad mittlerweile: Hersteller, Händler, Vermieter und Verleiher sowie weitere Service-Unternehmen.
 
Eine Branche in Bewegung
„80 Prozent der Menschen können 80 Prozent ihrer Alltagswege mit dem Fahrrad machen“, sagte Wasilis von Rauch, Geschäftsführer von Zukunft Fahrrad, in seiner Ansprache. „Da reicht uns die Aufmerksamkeit der Politik in Berlin nicht“, spricht er die Unzufriedenheit damit an, dass der Fahrradwirtschaft die Belange der Radlerinnen und Radler noch zu wenig gewürdigt werden. Hinzu komme ein weiterer Aspekt: „Mit dem E-Bike gibt es ein ganz neues Verkehrsmittel.“
 
E-Bikes verändern alles
Was tun für die Lobby der Radbranche? Bei dem Treffen in Ludwigsburg kam wiederholt die Rede auf Frankreich als ein Vorbild. Dort hat die Regierung einen Investitionsfonds für die Fahrradwirtschaft aufgelegt, will zwei Milliarden Euro in Fahrradinfrastruktur – also zum Beispiel Radwege – investieren und dafür sorgen, dass jeder Bürger in bis zu 15 Minuten Entfernung eine Fahrradwerkstatt in der Nähe hat. Ginge es nach Zukunft Fahrrad, wäre das ein Modell auch für Deutschland.
 
In wirtschaftlicher Hinsicht ist die Fahrradbranche ebenfalls in steter Bewegung. Laut Zahlen des Zweirad-Industrie-Verbands wurden im Jahr 2023 erstmals mehr E-Bikes verkauft als klassische Fahrräder: 2,1 zu 1,9 Millionen. Blutet einem Fahrrad-Fan da das Herz, weil für ihn nur das klassische Fahrrad das einzig Wahre ist? Ganz und gar nicht, sagt Gerd Klose vom Fahrradhersteller Merida & Centurion Deutschland. „Ich trauere dem nicht nach, es wird weiter beides geben. Und aus wirtschaftlicher Sicht ist es positiv.“ Aber auch in puncto Fahrkultur hat Klose absolut nichts gegen den Trend zu E-Bikes und Pedelecs: „Ich bin selbst überzeugter E-Bike-Fahrer. Den light support“, also die begrenzte Unterstützung durch einen E-Motor, „finde ich cool. Es ist gut, wie subtil sich der Motor dazu- und abschaltet.“
 
Generell gehe der Trend zu eher höherpreisigen Rädern, sagt Dirk Zedler. „Die preisgünstigen Räder sind auf dem Rückzug – und darüber bin ich auch froh, denn ein billiges Rad kann den Leuten den Spaß am Radfahren verderben.“
 
Nun gilt es für Zukunft Fahrrad, weiter das dicke Brett der Verkehrspolitik zu bohren. „Wir wollen, dass das Rad als Verkehrsmittel wirklich ernst genommen wird“, sagt Günter Riemer, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft fahrradfreundlicher Kommunen (AGFK) in Baden-Württemberg. Riemer ist Bürgermeister in Kirchheim (Teck), und als es dort kürzlich um die Planung einer Umleitung ging, merkte er erneut, wie viel da noch zu tun ist. „Da habe ich einen dicken Hals bekommen, als es hieß: ‚Da müssen die Radler dann haltschieben.‘ Da habe ich gesagt: Wir ziehen ja auch nicht die Autos an Stricken durch die Stadt.“ Riemer fordert: „Wir müssen raus aus der Fahrrad-Bubble, brauchen andere Kreise“, in denen die Fahrrad-Lobby ihre Haltungen vertreten dürfe.
 
Christoph Erdmenger, Abteilungsleiter Nachhaltige Mobilität im Verkehrsministerium Baden-Württemberg, umschrieb beim Ludwigsburger Treffen fünf Ziele: weniger Autoverkehr – wobei er 20 Prozent weniger in Städten und zehn Prozent weniger auf dem Land als Richtgröße ausgibt –, „enormen ÖPNV-Ausbau“, mehr E-Autos und, fünftens, mehr Elektro-Lastwagen im Güterverkehr.
 
Es gelte, „attraktive Radwege“ zu bauen, damit mehr Menschen aufs Fahrrad umsteigen, sagt die Ludwigsburger Grünen-Abgeordnete Silke Gericke. Auch sie sieht Frankreich als Vorbild: „In Paris hat das Fahrrad das Auto als beliebtestes Verkehrsmittel abgelöst.“
 
Lieber miteinander
Ludwigsburgs Baubürgermeisterin Andrea Schwarz beschrieb als ein Ziel für Stadtplanung, dass auch Fahrradbelange berücksichtigt werden müssen, sei es beim Bau von Radwegen als auch beim Bau von Abstellplätzen, die auch genug Platz für Lastenräder und Fahrrädermit Anhänger bieten.
 
Auch die Autoregion Stuttgart müsse diese Diskussionen „führen und aushalten“, sagt Schwarz. Eine Leitlinie dabei muss laut Schwarz sein: „Wie können wir es schaffen, dass es kein Gegeneinander mit den Autos gibt, sondern ein Miteinander?“
 
Autor: Eike Brunhöber
Foto: Holm Wolschendorf
 

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