Eurobike Show Daily 2024 - Tag 3
Lesedauer 5:00 Minuten

Gefährliches Halbwissen – Begleitpapiere zum Pedelec, E-MTB und E-Cargobike

DIRK ZEDLER: MANUALS IN PAPIERFORM NACH WIE VOR WICHTIG

In diesen wirtschaftlich herausfordernden Zeiten ist uns wiederholt zu Ohren gekommen, dass einige Akteure im Bereich Bedienungsanleitungen und Konformitätserklärungen Einsparpotenzial sehen. Die vermeintlich frohe Botschaft lautet, dass Betriebsanleitungen nun rein digital bereitgestellt werden dürfen.

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Genau das birgt für Hersteller ein Risiko. Sowohl in der Maschinen-Verordnung, dem gerade eben erschienenen Whitepaper zur Maschinenrichtlinie 2006/42/EC, als auch in der harmonisierten EN 15194, ist es anders festgeschrieben. Die Papierform ist für wesentliche Bereiche einer Betriebsanleitung weiterhin gefordert. Rein digitale Dokumente können mit einiger Wahrscheinlichkeit bei Gericht oder von einer Marktaufsichtsbehörde abgelehnt werden, was zu teuren Folgen führen kann.
 
Damit Sie sich ein eigenes Bild von der Lage verschaffen können, haben wir die relevanten Stellen der neuen Verordnung und der anzuwendenden, da harmonisierten, Norm in Auszügen zusammengetragen. Die Texte sind original, lediglich Hervorhebungen sind vorgenommen worden.
 
Auch die Gesellschaft für Technische Kommunikation – tekom Deutschland e.V. sieht rein digital sehr kritisch. Auch hier haben wir Auszüge aus dem Leitartikel „Die EU sorgt für Spannung“ aus deren Verbandsmagazin „technische kommunikation“ zusammengestellt.
 
 
Neue Maschinenverordnung
 
VERORDNUNG (EU) 2023/1230 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES
 
(…) Kapitel II, Pflichten der Wirtschaftsakteure, Artikel 10 (7) und (8)
 
(7) Die Hersteller gewährleisten, dass der Maschine oder dem dazugehörigen Produkt die Betriebsanleitung und die Informationen nach Anhang III beigefügt sind.
(…)
Bei Maschinen bzw. dazugehörigen Produkten, die für nichtprofessionelle Nutzer bestimmt sind oder unter vernünftigerweise vorhersehbaren Umständen von nichtprofessionellen Nutzern verwendet werden können, auch wenn sie nicht für sie bestimmt sind, muss der Hersteller die Sicherheitsinformationen, die für die sichere Inbetriebnahme der Maschine bzw. des zugehörigen Produkts und für deren bzw. dessen sichere Verwendung wesentlich sind, in Papierform bereitstellen.
(…)
(8) Die Hersteller gewährleisten, dass der Maschine bzw. dem dazugehörigen Produkt die EU-Konformitätserklärung … beiliegt, oder die Hersteller geben alternativ in der Betriebsanleitung und den Hinweisen … die Internetadresse oder den maschinenlesbaren Code an, unter der bzw. dem auf diese EU-Konformitätserklärung zugegriffen werden kann.
 
 
Begriff „Sicherheitsinformation“ aus Whitepaper der EU zur Maschinenverordnung:
 
Bedeutung des Begriffs „wesentliche Sicherheitsinformationen“ in Artikel 10 Absatz 7 Unterabsatz 4 der neuen Maschinenverordnung:
 
Es wird davon ausgegangen, dass es sich dabei mindestens um Informationen über Montage, Inbetriebnahme, Verwendung, Wartung und Transport der Maschine handelt, die gewährleisten, dass die Sicherheit oder Gesundheit des Benutzers oder einer dritten Person nicht gefährdet wird, wenn diese Anweisungen befolgt werden. Diese Informationen sollten mit der Betriebsanleitung übereinstimmen.
 
 
EPAC-Norm 15194:2018-11
(…)
 
6 Gebrauchsanleitung
 
Jedes EPAC muss mit Anweisungen in der Sprache des Landes, in das das EPAC geliefert werden soll, ausgestattet sein. In den verschiedenen Ländern können örtliche Anforderungen hinsichtlich dieser Art der Informationen gelten (siehe EN 82079-1). Die Gebrauchsanleitung muss unbedingt in Papierform bereitgestellt werden. Für ausführlichere Informationen und für deren Zugang durch schutzbedürftige Personen sollte die Gebrauchsanleitung zusätzlich auf Anfrage in elektronischer Form vorliegen.
(…)
 
 
Die Tekom bezieht Position
 
Rechtsanwalt Jens-Uwe Heuer-James äußerte sich in Ausgabe 05 (September/Oktober 2023) der Fachzeitschrift "technische kommunikation" der Gesellschaft für Technische Kommunikation – tekom Deutschland e.V.:
(…)
 
Digitalisierung ist umstritten
(...)
 
Allerdings hat sich in der umfassenden Diskussion dieses Ansatzes gezeigt, dass die Digitalisierung nicht überall akzeptiert wird. Bei den Beratungen kritisierten insbesondere die Verbraucherverbände den Ansatz. Die Kritik der Verbände wurde respektiert. Für Verbraucherprodukte gilt die Digitalisierung der Nutzungsinformation im Sinn eines Ersatzes der Papierdokumentation nicht.
Es ist lediglich möglich, Verbrauchern zusätzlich das Angebot digitaler Nutzerinformationen zu machen.
(…)
 
Autor: Jens-Uwe Heuer-James
 
 
Hinweise zur gelebten Praxis von Betriebsanleitungen
 
Der einfache Merksatz aus den anzuwendenden Verordnungen und Normen lautet: B2B rein digital ja, B2C rein digital nein.
 
Faktenbasiert ist es im Ergebnis so, dass beim Verkauf von Bauteilen (Antriebssysteme, Bremsen, Laufräder etc. pp) seitens des Zulieferers an den Fahrradhersteller digitale Komponentenanleitungen rechtens sind.
 
Der Fahrradhersteller bzw. dessen Handelspartner muss hingegen die normkonforme Betriebsanleitung für komplette und fahrbereite Pedelecs, E-MTBs und E-Cargobikes beim Verkauf an den Endverbraucher in Papierform aushändigen. Das heißt, diese Aufgabe obliegt der Marke bzw. dem Komplettradhersteller.
 
Hundert Prozent ohne Anfangsverdacht für eine Gewerbe- bzw. Marktaufsichtbehörde oder -Amt ist man als Fahrradhersteller, wenn man die Anleitung für das Fahrrad/Pedelec in der jeweiligen Landessprache gedruckt beilegt.
 
Das ist mithin nicht immer umsetzbar. Bei einigen Herstellern mit internationaler Auslieferung wurden schon in den vergangenen Jahren erfolgreich Hybridkonzepte umgesetzt. Das heißt, gedruckt wurde eine verhältnismäßig kurze Betriebsanleitung in mehreren bis vielen Sprachen. Per Weblink oder QR-Code wurde bzw. wird diese von der umfangreichen Vollanleitung, selbstredend spezifisch nach Pedelec-/E-Bike-Kategorie, unterstützt. Im Bereich des „technischen Supports“ werden dann noch die Anleitungen der Antriebs- und Komponentenzulieferer verortet.
 
Beide Konzepte sind in vielen Ländern der Europäischen Union, aber auch in UK und der Schweiz ohne Schwierigkeiten von den Marktaufsehern und Unfallverhütungsämtern akzeptiert worden. So haben die Hersteller zusammen mit uns den dreidimensionalen Spagat aus Kosteneffizienz, Kundenservice und Enthaftung geschafft.
 
Dass das nicht immer so ist, lernen wir seit einigen Jahren bei den Verfahren der Behörden, die wir in den Ländern Italien, Frankreich, Österreich, der Schweiz und natürlich dem größten Markt für Elektrofahrräder Deutschland begleiten. Das waren allein dieses Jahr schon fast zehn.
 
Lesen Sie den Artikel in der publizierten englischen Version.

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