Zuerst die immer wieder Schlagzeilen liefernde Causa Babboe und in den vergangenen Wochen der UDV (Unfallforschung der Versicherer), der auf optimierungsfähiger Datenbasis mit spektakulären Bildern einfacher Modelle, Lastenräder generell in Misskredit brachte.
Klar muss jedem in der Fahrradwirtschaft sein: Der Verlust durch solche negativen Berichte ist nicht in Euro und Cent zu beziffern. Doch der Schaden ist groß in Zeiten, in denen das Fahrrad generell und auch politisch wieder stärkeren Gegenwind erfährt. Und, mit soliden Prüfungen und Kenntnissen über das sichere und gesetzeskonforme Inverkehrbringen von Fahrrädern wären beide Aufreger nicht entstanden.
Die Fahrradbranche fliegt nicht mehr unter dem Radar: Firmen, die beim Thema Produktsicherheit und CE-Kennzeichnung nicht sauber aufgestellt sind, können schnell in existenzielle Schwierigkeiten geraten.
Was ist in der Causa Babboe schiefgelaufen?
Gerade in den Niederlanden, die bis dato vergleichsweise sehr entspannt mit den Themen Produktsicherheit, Technische Dokumentation, ergo CE-Konformität, umgegangen sind, wurden gegen Babboe die härtesten verfügbaren Mittel der staatlichen Marktaufsichtsautoritäten eingesetzt: Das Verkaufsverbot und ein angeordneter Rückruf. Mittlerweile ist sogar ein Strafverfahren eingeleitet.
So stark es mich als solches auch grämt, habe ich aufgrund des dramatischen Umschwungs im Nachbarland auch ein lachendes Auge. Gegenüber den engagierten und sicheren Mitbewerbern finde ich es nur fair, dass der Schlendrian dann doch auf Dauer nicht durchgekommen ist.
Ein temporäres behördliches Verkaufsverbot ist keine Seltenheit, ein angeordneter Rückruf für die Fahrradbranche dagegen einzigartig. In zig begleiteten Marktaufsichtsverfahren, die wir mit diversen Herstellern erfolgreich bewältigen konnten, haben wir gelernt, dass es nicht so weit kommen muss. Typischerweise wird zunächst eine Frist gesetzt, bis zu der die ersten Maßnahmen umgesetzt sein müssen. Weiterhin muss eine Strategie vorliegen, wie und bis wann verbleibende Punkte erledigt werden.
Die gesamteuropäische Gesetzeslage sieht eine mehr oder weniger präzise und typspezifisch definierte Produktsicherheit vor, außerdem eine Reihe von produktbegleitenden Maßnahmen. Es kann also nicht anders sein, als dass die Accell-Tochter in der Vergangenheit viel zu wenig dieser unumstößlichen Regularien berücksichtigt hat und diese in ihrer Gesamtheit nun nicht mehr „auf die Schnelle“ umzusetzen waren.
Ein anderer Grund war möglicherweise, dass beim ersten Rückruf im Jahr 2019 keine sicheren Produkte nachgeliefert wurden.
UDV-Unfallstudie Kindertransport - Von unten nach oben lesen
Eine Studie der Unfallforschung im Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) zur Sicherheit von Lastenrädern, Fahrradanhängern und Kindersitzen machte zuletzt in den Tagesmedien die Runde. Aufgrund steigender Unfallzahlen in der Statistik in Zusammenhang mit Lastenrädern werden Stimmen für einen strengeren rechtlichen Rahmen laut.
Im Grunde muss die Meldung jedoch von unten nach oben gelesen werden. Dort steht nämlich ‚noch vergleichsweise selten‘, d.h. dass es eine recht geringe Zahl an verletzten Kindern aufgrund von Unfällen mit Fahrradtransport gibt.
Das deckt sich mit unseren Erfahrungen der Gutachtenabteilung und der Mitglieder des Verbands Zukunft Fahrrad e.V.
Dennoch machte der UDV eine Untersuchung mit dem hinsichtlich der Fahrstabilität kritischsten und sehr preisgünstigen Lastenrad. Und leitete im Ergebnis bei allen Fahrradgattungen relevante Gefahren für Fahrer, Fahrerin und Kind ab.
Klar, jeder Unfall mit Verletzungsfolge ist einer zu viel. Mit ins Kalkül ziehen muss man daher zwingend die andere Seite, nämlich die von Fahrrädern und Lastenrädern ausgehende deutlich geringere Betriebsgefahr. Vor Kindergärten, Kitas etc., also genau den Orten, an denen die Kindertransportfahrräder bevorzugt eingesetzt werden, dürfte die Häufigkeit von Unfällen mit Verletzungs- oder gar in schlimmsten Fall Todesfolge durch PKWs der Elterntaxis verhältnismäßig hoch sein. Die durch Fahrräder und Lastenräder dagegen gegen Null tendieren.
Babboe und UDV - Was Hersteller…
Der Maßnahmenkatalog, um innerhalb der EU sichere Elektrofahrräder am Markt bereitzustellen, ist umfassend. Dazu gehören nicht nur umfangreiche Prüfungen des Rahmens, der Einzelteile und des kompletten Fahrrades bzw. Lastenfahrrades, sondern auch eine Menge Technische Dokumentation, die weit über eine Bedienungsanleitung hinausreicht.
Händler und auch Konsumenten werden beispielsweise Risikobeurteilungen, das Rückrufmanagementsystem oder auch Prüfprotokolle der EMV oder des Komplettrades nie zu Gesicht bekommen. Die Behörden durchleuchten dies allerdings zunehmend.
Gerade die Lastenradanbieter müssen sich spätestens seit der Causa Babboe und nun dem UDV-Medienerfolg bewusst sein, dass sie nicht mehr unbeachtet in der Nische sind. Um keine Kanten zu bieten, an denen Angreifer wie Behörden, Versicherer etc. hebeln können, gehören Kenntnisse und Konformität mit der Regulatorik (europaweite Verordnungen, Richtlinien und Normen) zwingend zum Aufgabenfeld.
Die gute Nachricht ist, dass wir unser Wissen über sinnvolle Vorbereitungen und Abwehrstrategien aus zig begleiteten und nicht an die Öffentlichkeit gelangten Marktaufsichtsverfahren in Workshops teilen.
...und Händler daraus lernen können
Im Bereich der Anhänger und Lastenfahrräder gibt es eine große Varianz von Angeboten. Dreiräder gibt es eben nicht nur einfache mit Drehschemel-Lenkung, sondern auch mit Fahrwerken die Schräglage zulassen. Bei diesen Modellen führen Ausweichmanöver nicht zum Kippen. Einige Hersteller haben sich zudem sehr viele Gedanken gemacht, um auch die passive Sicherheit der Kinder auf ein recht hohes Maß zu heben. Daher liegt es auch in der Hand der Händler und Verbraucher, solche Entwicklungen durch Beratung und Kauf zu forcieren.
Lesen Sie den Artikel in der publizierten englischen Version.